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"Hochschulproteste in Frankreich", Science ORF.at, 26 février 2009

mercredi 4 mars 2009

Getragen von Dozenten, Rektoren und Studierenden

Seit Wochen wird in Frankreich gegen geplante Bildungsreformen protestiert. Erst am Freitag räumte die Polizei die altehrwürdige, von Studenten besetzte Universität Sorbonne in Paris. Die Situation im an Protestbewegungen nicht gerade armen Frankreich unterscheidet sich aber gegenüber der Vergangenheit : Professoren, Studierende und zum Teil auch Rektoren gehen gemeinsam auf die Straße, um gegen die Reformen zu protestieren.

Im Gegensatz zu früheren Protesten ist die aktuelle Bewegung auch nicht eindeutig politisch punziert, wie Valerie Robert in einem E-Mail-Interview mit science.ORF.at ausführt.

Robert ist Germanistikdozentin an der Universite Paris 3 Sorbonne Nouvelle, Mitglied des Verwaltungsrats und Leiterin des Masterstudiengangs für deutsch-französischen Journalismus sowie Mitglied der Organisation "Sauvons l’Universite".

science.ORF.at : Wogegen richtet sich die Protestbewegung in Frankreich ?

Valerie Robert : Gegen verschiedene Entwicklungen und Projekte der Regierung : Veränderung des Status der Hochschuldozenten mit der Möglichkeit für die Hochschulrektoren, die jeweilige Lehrverpflichtung willkürlich zu erhöhen und dadurch die Forschungstätigkeit zu beeinträchtigen ; Verwandlung des CNRS, des größten außeruniversitären Forschungsverbands der Welt, in eine staatlich gelenkte Agentur für die Vergabe von Mitteln ; Verwandlung der DoktorandInnenstipendien in einen jederzeit kündbaren Vertrag ; Reform der Lehrerausbildung und der Einstellungsverfahren, dem Abschaffen des Referendariatsjahrs und wahrscheinliches Ende der Verbeamtung von Schul- und Gymnasiallehrern ; Streichung von 1.090 Stellen an den Hochschulen ...

Wir glauben, dass es sich dabei um ein breit angelegtes Projekt der Zerstörung des jetzigen (funktionierenden !) Bildungssystems handelt, vom Kindergarten bis zur Hochschule.

Wer ist an den Protesten beteiligt ?

Dass alle diese Reformen gleichzeitig durchgeführt werden, in einem Hauruckverfahren, ohne Rücksicht auf die Betroffenen und gegen die Meinung aller zuständigen wissenschaftlichen Institutionen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich alle Gruppen zu Wort gemeldet haben : Hochschuldozenten, CNRS-Forscher, Studierende, sogar manche Hochschulrektoren.

So hat sich die bislang eher unorganisierte Protestbewegung organisiert und die französischen Universitäten haben zu diesem Ziel die "Coordination nationale des universités" gegründet, die sich wöchentlich versammelt und in der Vertreter fast aller Universitäten sitzen und vor drei Wochen für einen unbefristeten Streik gestimmt haben. Dass der Streikaufruf von den Dozenten ausging, ist einmalig in der Geschichte der französischen Hochschulen.

Der Umfang dieses Streiks und die beispiellose Einigkeit im Protest, z.B. zwischen "linken" und konservativen Gewerkschaften sollten auch betont werden. Nicht nur links gerichtete Dozenten streiken, sondern auch KollegInnen aus eher konservativen Fachbereichen, wie etwa die Juristen, die besonders aktiv sind. Bei den Demonstrationen trifft man auf Kollegen, die seit ihren Studienjahren nicht mehr auf die Straße gegangen sind.

Wie sieht die aktuelle Situation aus ?

Die Studierenden sind in vielen Universitäten dem Streik beigetreten und unterstützen die Protestbewegung, auch mit ihren eigenen Forderungen (z.B. bezüglich der Stipendien).

Konkret wird der Streik meistens so durchgeführt, dass zwar viele Lehrveranstaltungen entfallen, aber doch weiterhin gelehrt wird, in alternativer Form oder mit alternativem Inhalt, entweder an der Uni selbst oder draußen auf der Straße, an symbolträchtigen Orten, vor Supermärkten, in Einkaufspassagen, in Bibliotheken, in Kinos, aber auch in der Straßenbahn und in der Metro, um der Bevölkerung zu zeigen, worin unser Beruf besteht.

Die Studenten machen meistens ganz begeistert mit und im Allgemeinen wird zurzeit eine unglaubliche Kreativität entwickelt, um auf unseren Protest aufmerksam und ihn auch verständlich zu machen.

Welches Verständnis von Bildung steht hinter den Projekten der Regierung ?

Die Bildungspolitik der Regierung ist eine höchst gefährliche Mischung aus ideologischer Voreingenommenheit, Anmaßung und Inkompetenz, verbunden mit einem Programm, das sich auf die einfache Formel der Kostenreduzierung bringen lässt, und dabei nicht berücksichtigt, dass die Renditenerwartungen der Finanzwelt nicht auf die Bildung übertragbar sind. Die Hochschulen sind jetzt schon chronisch unterfinanziert, und jede weggestrichene Stelle geht auf Kosten der Qualität von Forschung und Lehre, also auch auf Kosten der ganzen Gesellschaft.

Forschung wird als Ware behandelt und ihre Ergebnisse rein quantitativ gemessen, wie in einer Autofabrik. Dazu kommt ein sehr ausgeprägter Antiintellektualismus, der besonders in der berüchtigten Sarkozy-Rede zu Forschung und Innovation (22.01.09) zu Tage getreten ist. Das Gerede vom "Verbessern der französischen Forschung" soll nur verbergen, dass die Regierung eigentlich die Grundlagenforschung stärker kontrollieren und bevormunden will - wirtschaftlich und politisch.

Nicht die Forschung an sich, sondern ihre Verwertbarkeit und ihr Einfluss auf Industrie und Wirtschaft scheinen Nicolas Sarkozy und seine Regierung zu interessieren, daher auch die Angriffe gegen die Literatur- und allgemein gegen die Geisteswissenschaften.

Inwiefern bestehen Anbindungen der Proteste an andere soziale Bewegungen in Frankreich -Stichwort "Weltwirtschaftskrise" ?

Solche Anbindungen werden immer sichtbarer, z.B. auf den Transparenten in den Demonstrationen, wo z.B. "Moins de traders, plus de chercheurs !" ("Weniger Traders, mehr Forscher !") zu lesen war, oder in dem Vergleich zwischen der Geldspritze an die Banken und den Kostenreduzierungen im Bildungswesen.

Bei den Studenten ist das ganz deutlich : Die Solidaritätsbekundungen zu Guadeloupe oder zu Griechenland zeugen davon, dass auch das ganze Gesellschaftsbild des Neoliberalismus in Frage gestellt wird, unter dem Motto : Wenn das Bildungswesen jetzt nachgibt, dann wird es kein Zurück mehr geben.

In der aktuellen Krise sieht man die Wertigkeiten verschiedener Wirtschaftsbereiche mit Banken und Autos an der Spitze. Auf welcher Position befindet sich Wissenschaft und Forschung ?

Im heutigen Frankreich : ganz unten ! Es sollen nur jene Bereiche von Wissenschaft und Forschung weiterbestehen, die sich selbst finanzieren können, also unmittelbar durch die Industrie verwertbar sind.

Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten der französischen Protestbewegung ?

Wäre ich pessimistisch, so würde ich jetzt gar nicht kämpfen ! Also : ich glaube, dass wir Erfolg haben werden, fragt sich nur in welchem Umfang und für wie lange. Manche der umstrittenen Projekte - aber nicht alle ! - sind jetzt schon ins Wanken geraten, auch wenn die Ministerin das noch nicht offiziell verkündet hat und vielleicht nie zugeben wird.

Aber das Hochschulgesetz von 2007, das Hochschulrektoren als Manager auffasst, bleibt weiterhin in Kraft. Daher verlangen wir auch die Abschaffung dieses Gesetzes, denn : Hochschulen sind keine Unternehmen, Wissen ist keine Ware. Ich hoffe, dass wir auch diesen langfristigen Kampf gewinnen werden, und dass Image und Funktion von Wissenschaft neu definiert werden.

Gibt es Ansätze von internationaler, europäischer Vernetzung und Zusammenarbeit ?

Die Proteste in Frankreich kann man nicht trennen von verschiedenen Initiativen auf europäischer Ebene, und ich bin stark beeindruckt vom positiven Echo auf unseren Protest in vielen europäischen Ländern. Ich habe neulich an einer Veranstaltung der Akademie der Wissenschaften in Wien teilgenommen und habe feststellen können, dass die Probleme, gegen welche wir in Frankreich kämpfen, auch hier von vielen als Ansatz zur Vernichtung von Wissenschaft als solcher verstanden werden.

Es melden sich viele Kollegen aus Österreich, aus Deutschland, aus Portugal, aus Italien, die sich dessen bewusst geworden sind, was die Entwicklungen der letzten zehn Jahre mit sich gebracht haben : Bologna-Prozess, Lissabonner Strategie, europäischer Forschungsraum als Markt, auf dem Konkurrenz zum bestimmenden Prinzip wird ...

Das alles hat sich sowohl auf europäischer Ebene wie auch auf der Ebene der einzelnen Länder durchgesetzt. Daher gibt es jetzt Ansätze zur internationalen Zusammenarbeit, z.B. durch eine Veranstaltung Mitte März, die hier angekündigt wird und durch einen Gegengipfel im Mai 2010.

Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft der Hochschulen frei hätten, welcher wäre das ?

Dass der Wert des Wissens an sich wieder anerkannt wird, sodass es für die Hochschulen noch eine Zukunft gibt.

Lukas Wieselberg


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